Rupert Sheldrake, Morphogenetisches Feld

Das hat jetzt nicht direkt etwas mit Quantenphysik zu tun, aber in pseudowissenschaftlich-esoterischen Kreisen hat Rupert Sheldrakes morphogenetisches (oder morphisches) Feld einen fixen Platz neben dem Quantenunsinn. Quantenheiler berufen sich gelegentlich auf das morphogenetische Feld, obwohl es Sheldrake meines Wissens nie als als Quantenfeld postuliert hat.

Als Rupert Sheldrake fünf Jahre alt war, zeigte ihm sein Vater Brieftauben. Ihn faszinierte auch später noch, wie sie ihren Weg zurück finden, aber die immer wieder neuen und anderen Erklärungen der Wissenschaftler überzeugten ihn nicht. Er dachte: Da muss ein Feld am Werk sein. Vielleicht hatte er die Idee des morphogenetischen (= Form erzeugenden) Feldes aufgeschnappt, die schon seit den 1920er Jahren herumgeistert und z.B. Kristalle wachsen lassen soll. Er wusste noch nichts von Biologie. Und er wusste nichts von Physik. Er wusste nicht was ein Feld ist.

Er studierte Biologie. Die Idee des Feldes ließ ihn nicht los.

Was gibt einem Lebewesen seine Gestalt? Alle Zellen tragen die gleiche genetische Information, dennoch "wissen" die Zellen, wo in einer Pflanze oder im Körper sie sich befinden. Manche Zellen "wissen", dass sie zu einem Auge gehören und andere dass sie zu einer Niere gehören. Es beginnt schon bei der ersten Teilung der Eizelle, hier bildet sich bereits eine Körperachse aus. Ein Ende ist das Kopf-Ende und das andere das Schwanz-Ende des sich entwickelnden Embryos. Bei Pflanzen ist es etwas einfacher, denen sagt die Schwerkraft wo oben und unten ist, wo später Wurzeln und wo Blätter sein werden.

Hier soll das hypothetische Feld ansetzen und den Zellen sagen wo vorne und hinten bzw. oben und unten ist. Bei Tieren stelle ich mir das mathematisch ganz schön kompliziert vor: Das Feld soll global sein, müsste sich aber mit jedem Tier mitbewegen.

Bevor man an ein Feld denkt, müsste man eine physikalische Größe kennen, die von diesem Feld beschrieben wird. Diese physikalische Größe könnte eine noch zu entdeckende Kraft sein, die auf die Zellbestandteile wirkt. Wo im Raum diese Kraft welchen Wert hat, das würde dann von dem Feld beschrieben. Und das Feld müsste so gestaltet sein, dass ein Lebewesen dabei heraus kommt. Wir stünden also vor dem gleichen Problem wie zuvor. Man könnte versucht sein, dem geheimnisvollen Feld göttliche Eigenschaften zuzuschreiben, aber das würde das Problem schaffen Gott zu beweisen - was noch niemandem gelungen ist.

Wie geht es wirklich?

Biologen kennen sogenannte Homöobox-Gene, die abhängig vom Ort im Körper aktiviert bzw. blockiert werden. Und diese Gene, wenn sie aktiviert sind, bewirken die Produktion von Enzymen, die wiederum auf die Aktivierung bzw. Blockierung dieser Gene wirken. Es ist eine positive Rückkopplung. Bei der ersten Teilung der Zelle ist zufällig in der einen Zelle mehr von diesem Enzym vorhanden als in der anderen, und diese Ungleichheit verstärkt sich durch Aktivieren bzw. Blockieren der entsprechenden Gene und bewirkt dass sich die Kopf-Schwanz-Achse ausbildet. Im Lauf der Entwicklung des Embryos werden immer mehr solcher Differenzierungen herausgebildet und so entsteht ein funktionstüchtiger Organismus.

Das ganze ist in Wirklichkeit wesentlich komplizierter, als es sich mit wenigen Sätzen beschreiben lässt. Man kennt viele Details. Bei natürlich auftretenden Missbildungen hat man untersucht, wie dieser Mechanismus gestört ist, und wenn Forscher diese Gene manipulieren, dann können sie z.B. missgebildete Fliegen-Embryonen erzeugen (wie auch immer man vom ethischen Standpunkt über solche Versuche denkt). Diese Gene und Enzyme sind vor 700 Millionen Jahren entstanden und seither weiter vererbt worden. Fliegen und Menschen haben die gleichen Enzyme geerbt. Das eröffnet Wege um Erbkrankheiten beim Menschen zu heilen. Wer es genauer wissen will, dem sei der folgende Artikel empfohlen: http://www.spektrum.de/magazin/kontrollgene-fuer-den-koerperbauplan/821473. Das ist zwar relativ kompliziert zu lesen, obwohl es schon eine vereinfachte Darstellung für Laien (wie mich) ist.

Aber ich greife vor, Sheldrake konnte das noch nicht wissen.

Rupert Sheldrake war von seinem Feld überzeugt. Es sollte allgegenwärtig und allwissend sein. Das Feld soll nicht nur Zellen sagen wie sie wachsen sollen, sondern z.B. einem Hund sagen dass sein Besitzer heimkommt oder einem Menschen sagen ob er hinterrücks von einem anderen Menschen angestarrt wird. Ein Studienkollege und späterer Nobelpreisträger riet ihm, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen und sich erst in der Pension wieder damit zu befassen.

Sheldrake folgte diesem Rat nicht, sondern versuchte, diese Idee in der Wissenschaft publik zu machen. Wissenschaftler veröffentlichen ihre Ideen und Resultate auf wissenschaftlichen Konferenzen und in wissenschaftlichen Journalen, wo sie einer Qualitätskontrolle unterworfen werden, von Fachleuten diskutiert und in der Folge überprüft werden. Allerdings muss dazugesagt werden, dass der Wissenschaftsapparat träge ist und vorzugsweise Ideen und Konzepte verfolgt, die den bisherigen ähneln und sie weiter führen. Außenseiterpositionen sind nicht leicht durchzuhalten, und die Kollegenschaft hat es ihm nicht leicht gemacht, hat ihn wahrscheinlich sogar unfair behandelt. In der Wisssenschaftsgeschichte gibt es berühmte Beispiele für solche Außenseiter die sich letztendlich durchsetzten und das jeweilige Fachgebiet revolutionierten (Darwin, Wegener, Semmelweis,...). Aber das sind eben Ausnahmen.

Sheldrake war das zu mühsam und er wählte einen gänzlich anderen Weg: Er veröffentlichte 1981 das Buch "A New Science of Life - The Hypothesis of Formative Causation" (deutsch: „Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes“) das sich an ein Laienpublikum wandte. Die wenigsten Laien erkennen den Unterschied zwischen überprüfter wissenschaftlicher Arbeit und spekulativen Behauptungen. Dem englischen Titel kann der sachkundige Leser zwar entnehmen, dass es sich nur um eine Hypothese handelt, im deutschen Titel ist es aber schon von der Hypothese zur Theorie avanciert? Die Theorie eines Feldes sucht man allerdings auch dort vergebens. Tageszeitungen lobten sein Buch und es wurde ein Bestseller, aber die wissenschaftlich renommierte Zeitschrift "Nature" urteilte: "A Book for Burning" (ein Buch das man verbrennen sollte).

Mit Sheldrake's Karriere als Biologe war es natürlich vorbei. Jetzt spinnt er seine Gedanken weiter, hält Vorträge und schreibt Bücher. Viele Bücher. Aber er versteigt sich nicht so weit, zu behaupten, dass das morphogenetische Feld für uns denken soll, und das Gehirn nur eine Art Empfangsantenne sein soll. In der Esoterik ist dieser Glaube aber fix verankert. Esoteriker die sich auf Sheldrake berufen haben ihn nicht verstanden. Menschen glauben gerne, was sie nicht verstehen.

Die messbaren Effekte auf denen er sein Gedankengebäude aufbaut sind, wie er selbst sagt, gering. Nur wenig mehr als 50% der Versuchspersonen spüren dass sie von einer anderen Person angestarrt werden. In der Frage ob die Daten aussagekräftig sind oder durch Messfehler entstanden sind, hat er schon mehrfach mit anderen Wissenschaftlern gestritten. Ich selbst habe häufig das Gefühl dass mich jemand von hinten beobachtet, drehe mich um und stelle fest, dass niemand da ist.

Die Wissenschaft erkennt seine Beweise nicht an, umgekehrt steht er mit der Wissenschaft auf Kriegsfuß und bestreitet nun sogar die Existenz von unveränderlichen Naturgesetzen. Denn auch diese sollen vom morphogenetischen Feld hervorgebracht sein und "nur aus Gewohnheit" so sein wie sie sind. Und all das soll ein einzelner Mensch im Alleingang erforscht haben? Nein. Sheldrake zitiert Forschungen von Wissenschaftlern und interpretiert sie in seinem Sinn um. Er ist eher zum Philosophen geworden.

Sind Naturkonstanten konstant? No na, sie sind ja Konstanten. Allerdings weist er darauf hin dass z.B. für die Lichtgeschwindigkeit nicht immer die gleichen Werte gemessen werden. Wirklich nur Messfehler?

Sheldrake spottet über dunkle Materie und unterstellt den Astrophysikern, die Existenz von dunkler Materie als Tatsache hinzustellen. In Wirklichkeit sind sich die Astrophysiker bewusst dass die dunkle Materie eine Hypothese ist und sie versuchen sie zu finden. Das wird auch so von ihnen kommuniziert. Sheldrake sollte da selbst vor seiner Türe kehren, denn das morphogenetische Feld ist alles andere als bewiesen und dass es nur eine Hypothese ist, scheint er schon längst vergessen zu haben.

Auch den Stil seiner Bücher wird immer populistischer und weniger wissenschaftlich. Im "Wissenschaftswahn" steht: "Das Gefühl in den Fingerspitzen ist in den Fingerspitzen und nicht im Kopf." Wieso? Wenn das Gefühl im Gehirn (also im Homunculus auf der Großhirnrinde) ist (was erwiesen ist) und das Gehirn gelernt hat, es in den Fingerspitzen zu lokalisieren, dann haben wir subjektiv den Eindruck, dass das das Gefühl in den Fingerspitzen ist - mehr nicht. Eine suggestive Behauptung, ein durchsichtiger Trick. Sowas mag ich nicht.

Schade, dass er der etablierten Wissenschaft den Rücken gekehrt hat. Wissenschaft lebt vom Austausch und von der gegenseitigen (wohlwollenden) Kontrolle. Wer nur im eigenen Saft schmort und Grabenkriege gegen alle anderen führt, läuft Gefahr, immer weiter abzudriften und sich in eine Sackgasse zu verrennen - was er, umgekehrt, der Wissenschaft vorwirft. Es wäre interessant gewesen, was unter Einhaltung wissenschaftlicher Standards aus seinen Hypothesen hätte entstehen können - oder eben nicht, wenn nichts dran ist. So bleibt es Glaubenssache und der Glaubenskrieg ist längst entbrannt. Sheldrake kann es nur recht sein, so viel publicity bekommt nicht einmal ein Nobelpreisträger.

Er meint, die Natur ließe sich nicht verstehen, indem man sie wie eine Maschine in ihre Einzelteile zerlegt und diese studiert. Dem ist entgegen zu halten, dass die Wissenschaft sogenannte emergente Phänomene kennt, also Eigenschaften die sich aus dem Zusammenspiel kleinerer Teile ergeben und die in diesen Teilen nicht erkennbar sind. Das Ganze ist mehr als die Summer der Teile, auch ohne zusätzlichen Annahmen. Zum Beispiel im Computer simulierte zelluläre Automaten, die für sich gesehen nur wenige primitive Regeln abarbeiten und im Zusammenspiel komplexe und manchmal sogar schöne Muster erschaffen - und da ist definitiv kein Effekt vorhanden, der den Computer etwas anderes machen ließe, als der Programmierer vorgegeben hat. Auch das wohlgeordnete Verhalten von Gasen, das in der Thermodynamik beschrieben wird, lässt sich nicht in den chaotischen Bewegungen einzelner Moleküle erkennen, sehr wohl aber aus ihnen erklären. Er wiederholt das abgegriffene Argument: "Nirgends im Gehirn lassen sich die Bilder finden die vor unserem geistigen Auge entstehen". Na, dann zerleg einmal einen Computer und schau, ob du deine Urlaubsbilder siehst oder deine Musik hörst. Obwohl geistige Phänomene wie das Bewusstsein nicht in den Bestandteilen des Gehirns zu finden sind, ist es sehr wohl möglich dass sie in der Aktivität des Gehirns entstehen. Das ist derzeit weder bewiesen noch widerlegt. Sheldrake kennt dieses Argument, verneint es aber ohne eine Begründung. Ein alter Philosophen-Streit. Es ist spannend ob es gelingen wird, Maschinen zu bauen, die Bewusstsein haben. Es gibt bereits Versuche in diese Richtung. Zu einer Theorie der "kausalen Emergenz" geht es hier Ist die Realität mehr als die Summe ihrer Teile?.

Den Vertretern des mechanistischen Weltbildes (also der gesamten etablierten Wissenschaft) unterstellt er, die Existenz von Gefühlen und Bewusstsein zu leugnen. Das ist ein polemischer Trick. Laut Sheldrake werden geistige Phänomene wie Bewusstsein im mechanistischen Weltbild unerklärbar. Hat Sheldrake eine Erklärung? Nein. Er sagt nur: Es ist nicht hier sondern irgendwo draußen. Damit hat er das Problem nur verschoben und kommt einer Erklärung nicht einmal näher. Und: Was ist Bewusstsein überhaupt? Was versteht Sheldrake darunter? Ich habe es aus seinen Schriften und Vorträgen bisher nicht erfahren.

Wie und warum Kristalle wachsen, ist heute im Detail geklärt. Die Entwicklungsbiologie hat große Fortschritte gemacht und das Feld hat sich auch dort erübrigt. Bei Brieftauben bin ich überfragt, aber bei Zugvögeln hat man Einflussgrößen ausgemacht indem man z.B. das Erdmagnetfeld lokal gestört hat oder sie in einem Planetarium ausgelassen hat in dem sich der Sternenhimmel um den Sirius statt um den Nordstern dreht. Außerdem ist erweisen, dass Vögel sowohl ein Magnetfeld als auch die Polarisation des Sonnenlichts (die sich mit der Himmelsrichtung ändert und daher eine Information über die Himmelsrichtung enthält) wahrnehmen können. Veränderbare Naturgesetze, Telepathie und Bewusstsein blieben dann als Rückzuggebiete des morphogenetischen Feldes die es räumen müsste, wenn die Wissenschaft entsprechende Fortschritte macht.

Von den kleinsten Bausteinen der Natur, wie sie von der Quantenphysik beschrieben werden, über Entwicklungsbiologie zur Verhaltensforschung und weiter bis zur Astrophysik, all das will ein einzelner Mensch in solche Tiefe bearbeiten, dass er den jeweiligen Experten überlegen ist? Herr Dr. Sheldrake, bei allem Respekt, da haben Sie sich zu viel vorgenommen.

Für mich persönlich wäre es glaubhafter und für die Wissenschaft wäre es wahrscheinlich leichter zu akzeptieren, wenn Sheldrake den umgekehrten Weg ginge: Nicht zuerst die Lösung anzupreisen (das Feld) und dann das Problem dazu zu suchen (alles, von subatomaren Teilchen über Tiere und Menschen bis zu Galaxien und weiter bis zum ganzen Kosmos), sondern statt dessen ein Phänomen zu beschreiben, das konventionell nicht erklärt werden kann (nämlich dass Menschen spüren wenn sie angeschaut werden) und sich dann - mit anderen Wissenschaftlern - auf die Suche nach der Lösung zu machen.

Sheldrake vermischt Naturwissenschaft und Philosophie. Was natürlich auch andere Leute tun, auch diese finde ich nicht sehr glaubwürdig. Sheldrake fragt z.B. "Was wäre wenn die Sonne und andere Himmelskörper denken könnten?" (siehe hier https://youtu.be/0waMBY3qEA4). Das ist natürlich provokant. Aber fragen wird man noch dürfen. Wohlgemerkt: Aufmerksame Zuhörer werden feststellen das er nur die Frage stellt. Er behauptet es nicht und sagt dazu, dass er es selbst nicht glaubt.

In der pseudowissenschaftlich geprägten Esoterik hat das morphogenetische Feld einen festen Platz eingenommen. Ihm wird eine geradezu religiöse Verehrung zuteil. Natürlich nur von Leuten die nicht wissen was ein Feld ist.

Fazit:

Ich habe schon schlimmeres gesehen (was allerdings, angesichts des Quantenunsinns, nicht schwer ist). Sheldrake verdient es nicht, mit den pseudowissenschaftlich-esoterischen Quantentanten und -onkeln in einen Topf geworfen zu werden. Trotzdem: Wissenschaft ist das nicht, was er von sich gibt, das sollte allen klar sein. Seine Ideen sollte man aber zumindest als Denkanstoß und mögliche Erweiterung der Naturwissenschaften verstehen. Der esoterische Kult um das morphogenetische Feld ist das was er ist: ein esoterischer Kult.

Quellen: