Es ist leichter, die Menschen zu täuschen, als sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht worden sind.

(Mark Twain zugeschrieben)

Die Gottesformel

Buch von Michio Kaku

Ich habe mir das Buch aufgrund dieser Rezension "Stringtheorie für Dummies" gekauft. Ich verstehe etwas von den Newtonschen Bewegungsgleichungen und von den Maxwellgleichungen, ein bisschen von der Relativitätstheorie und gar nichts von der Stringtheorie. "Stringtheorie für Dummies" sollte daher für mich genau passen.

Die Relativitätstheorie in einfacher Sprache zu erklären ist natürlich ein schwieriges, wenn nicht gar aussichtsloses Unterfangen. Wenn sie sich in einfacher Sprache erklären ließe, wäre die komplizierte wissenschaftliche Sprache nicht notwendig.

Jetzt bin ich gerade durch das Kapitel Relativitätstheorie durch. An einigen Stellen habe ich am Rand die Frage "Warum?" hingeschrieben. Wir erfahren dass die Gravitation nur eine Illusion ist und dass ein Apfel und der Mond nicht durch die Gravitation von der Erde angezogen werden, sondern dass die Krümmung des Raumes die Effekte der scheinbaren Gravitation hervorruft. Einen gekrümmten Raum erklärt an der Autor anhand von Beispielen, ein Karussell als umgekehrte Schüssel und eine Matratze die durch einen schweren Gegenstand eingedrückt wird und so eine Murmel auf eine Kreisbahn zwingt. In beiden Beispielen handelt es sich um eine zweidimensionale Fläche, die in der dritten Dimension Platz hat um sich zu krümmen. Wie ein dreidimensionaler gekrümmter Raum beschaffen ist und wie man sich ihn vorstellen kann, muss man woanders nachlesen.

Am Rand eines Karussells wird man stärker zusammengedrückt als in der Mitte. Dass ich auf einem Karussell zusammengedrückt werde, ist eine Behauptung, die einfach so in den Raum gestellt ist. Auch hier habe ich "Warum?" hingeschrieben.

Außerdem benötigen diese Beispiele für die Kraft, die sie hervorrufen sollen, die Schwerkraft. Eben die Schwerkraft, die es gilt wegzudiskutieren. Und ein paar Seiten später taucht die Schwerkraft wieder auf, also ist sie doch keine Illusion?

Warum der gekrümmte Raum den Mond von sich weg und damit zur Erde hin drücken soll, wird nicht erklärt..

Der Leser soll die Relativitätstheorie verifizieren indem er das GPS benützt. So kann ich sie aber nicht verifizieren, ich als Benutzer kann die Effekte der Relativitätstheorie natürlich nicht erkennen.

"Das GPS System kann immer Signale von drei Satelliten empfangen". Ich hätte es so formuliert: das GPS System muss immer Signale von mindestens drei Satelliten empfangen können.

Das sind zwar nur sprachliche Ungenauigkeiten, aber mich stören sie.

Ein Kandidat für die Vereinheitlichung von Quantenphysik und Relativitätstheorie, an der sich TheroretikerInnen seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen, ist die Stringtheorie. Hier ist Schluss mit den anschaulichen Erklärungen, das versucht der Autor gar nicht. Was er hier ausführt muss man einfach so glauben. Ich glaube es ihm gerne, denn das ist sein Spezialgebiet. Hier liest sich das Buch leicht, ich habe einiges erfahren was ich trotz langjähriger Lektüre des Spektrum der Wissenschaften nicht gewusst habe. Stringtheorie für Dummies, eben.

Die Stringtheorie funktioniert nur in mindestens 10 Dimensionen und das Problem der überzähligen Dimensionen beherrscht die Ausführungen. Möglichkeiten, diese überzähligen Dimensionen los zu werden, gibt es unendlich viele. Anderswo liest man nicht "unendlich", sondern 10500, auch keine überschaubare Menge. Jede beschreibt ein mögliches Universum. Die meisten davon funktionieren in unserem Sinn nicht, es könnten sich keine Sterne und erst recht keine lebensfreundlichen Planeten bilden, oft nicht einmal Atome. Der Frage, warum wir ausgerechnet in einem funktionierenden Universum leben und ob da zwingend ein lenkender Gott dahinter stehen müsse, hält der Autor das anthropische Prinzip entgegen. Demnach existierten wir nicht und könnten uns nicht diese Frage stellen wenn es nicht so wäre, also erübrigt sich die Frage.

Trotzdem bleibt die Frage, wie man unter dieser Vielzahl der Möglichkeiten die Beschreibung unseres Universums heraus findet. Bei der Beseitigung von Unendlichkeiten, wie sie sich aus der Relativitätstheorie im Fall von Urknall und schwarzen Löchern ergeben, deretwegen die Stringtheorie ja entwickelt wird, ergibt sich das Problem dass man sich neue Unendlichkeiten einhandelt, die man auch wieder los werden muss. Das bekannte Verfahren der Renormierung, das in anderen Fällen geholfen hat, lässt sich hier nicht anwenden. Die Stringtheorie ist nicht renormierbar.

Eine der Versprechungen der Stringtheorie ist, zu ergründen, was vor dem Urknall geschehen ist. Also wie und warum unser Universum entstanden ist. Hier vermutet der Agnostiker Michio Kaku, noch zu findende Ergebnisse der Stringtheorie vorwegnehmend, Gott. Das nimmt er zum Anlass, sich mit den Gottesbeweisen von Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert herumzuschlagen. Gottesbeweise, die ich, ebenfalls Agnostiker, sowieso nicht für überzeugend halte, nicht einmal für erwähnenswert.

Kaku erwähnt, dass das Higgs-Boson auch Gottesteilchen genannt wird, verschweigt aber, warum und von wem es so genannt wurde: Das "gottverdammte Teilchen" wurde von einem übermotivierten Buchverleger kurzerhand zum "Gottesteilchen" umbenannt, hat also mit Gott überhaupt nichts zu tun. Kaku scheint zu versuchen, dem - aus meiner Sicht unglücklich gewählten - Buchtitel gerecht zu werden.

Nicht nur der Anfang des Universums beschäftigt uns, sondern auch sein Ende. Kaku betont, dass nicht weniger als das Schicksal des Universums davon abhängt, welche Lösung der Stringtheorie wir finden. Ein Big Crunch, ein Big Freeze, ein Big Bounce bei dem gleich wieder ein neuer Urknall eintritt, oder es entstehen und vergehen ständig große und kleine Universen, oder was sonst noch bei der Rechnung heraus kommen könnte. Eine der vielen sprachlichen Ungenauigkeiten: Nicht das Schicksal des Universums hängt davon ab, sondern unsere Beschreibung dieses Schicksals. Don't try to eat the menu.

Gegen Ende verliert sich das Buch in Metaphysik und Science Fiction. Ob es doch mehr Dimensionen geben könnte und wie sich die Menschheit vor dem Ende des Universums mit Hilfe dieser Extradimensionen in ein (zum heutigen Wissensstand völlig hypothetisches) Parallel-Universum retten könnte. Hier ist dem Autor definitiv die Phantasie durchgegangen.

Trotz meiner Einwände habe ich das Buch gerne gelesen, würde es aber nur unter Vorbehalten empfehlen und würde empfehlen, einige Kapitel auszulassen.