Es ist leichter, die Menschen zu täuschen, als sie davon zu überzeugen dass sie getäuscht worden sind.

(Mark Twain zugeschrieben)

Die Geschichte vom toten Esel

Geschrieben von Deleted_user15 Gelöschter Benutzer 16.05.2012 08:00h (geändert: 21.05.2012 14:28h) | 182 x gelesen

Ein Esel ist verendet, ein findiger Bursche besorgt sich den Kadaver.

Ach diese alten Märchen, da gibt es immer nur findige Burschen. Es war natürlich ein findiges Mädchen. Nennen wir sie Felicitas, das ist ein schöner Name.

Auf dem Jahrmarkt veranstaltet sie ein Gewinnspiel bei dem es einen Esel zu gewinnen gibt, die Teilnahme kostet einen Taler. Viele Leute nehmen teil, sie hat ihre Eselgeschichte erfolgreich verkauft. Dem Gewinner des Esels erklärt sie dass der Esel leider soeben gestorben ist, sie gibt ihm seinen Taler zurück.

So lebt sie glücklich und zufrieden und wenn der Esel nicht gestorben wär dann würde es nicht stinken.


In einer Zeitschrift erscheint in der Rubrik "Wissenschaft" ein Artikel über Quantenheilung. Neben wissenschaftlich klingenden Erklärungen kommt auch, der Ausgewogenheit wegen, Skepsis an der Quantenheilung zur Sprache. Die Quantenphysiker Martin Bäker und Anton Zeilinger werden Zitiert. Martin Bäker vertritt die skeptische Seite. Dem setzt Anton Zeilinger entgegen "...". Zeilinger ist also der, der die Skepsis auszuräumen vermag. Einen prominenteren als Zeilinger kann man wohl nicht vor den Karren der Quantenheilung spannen.

Ich bin ja sehr vertrauensvoll. Vor meinem geistigen Auge sitzt die attraktive Journalistin, nennen wir sie Felicitas, mit den beiden Wissenschaftlern an einem kleinen runden Tisch. Sie stellt pfiffige Fragen und die drei diskutieren angeregt über Quantenheilung. Sorgfältige Recherche eben.

Nur irgendwas hakt an dem Bild, ein unbestimmtes Gefühl sagt dass da irgendwas nicht ganz stimmt. Der Satz von Bäker ("Um die Verschränkung der Quantenteilchen irgendwie ausnutzen zu können, müssten wir alle anderen Verschränkungen genau kennen und herausrechnen. Gerade weil in dieser Interpretation wirklich alles mit wirklich allem verbunden ist, ist die spezifische Verschränkung zwischen genau zwei Quantenteilchen nicht mehr aus diesem unendlichen Verschränkungswirrwarr herauszufiltern.") klingt ziemlich kompliziert und mein Ego gibt nur widerstrebend zu dass ich ihn nicht verstehe. Wenn ich ihn nicht verstehe dann wird ihn der Großteil der Leser auch nicht verstehen, das ist das Rückzugsgefecht meines Egos. Aber der Leser ist sicherlich beeindruckt von Felicitas' wissenschaftlicher Kompetenz die ihn scheinbar versteht (mein kleines böses Ego hat darauf bestanden dass ich hier nicht "anscheinend" sondern "scheinbar" schreibe). Aber immerhin, die Herren diskutieren über Details, die Quantenheilung an sich steht außer Zweifel.

Tja, mein Ego hat nicht so leicht das Feld geräumt. Es hat darauf bestanden dass ich den Satz, wenn ich ihn schon nicht verstehe, in das Suchfeld von Google eingebe. Und siehe da, jetzt steht er in einem Umfeld in dem ich ihn verstehe. Er erklärt einen der Gründe, warum quantenmechanische Verschränkung nicht zur Übertragung von Information geeignet ist. Die anderen (wesentlich griffigeren) Gründe werden dort ebenso genannt. Dadurch dass Verschränkung nicht zur Übertragung von Information geeignet ist bricht das angebliche Fundament der Quantenheilung zusammen.

Ein unwesentliches kleines Detail das den Leser nur verwirren würde, hervorragender Journalismus zeichnet sich ja vor allem durch die Konzentration auf das wesentliche aus.

Darüber hinaus hat es eine suggestive Wirkung, eine fundamentale Tatsache mit einem Zitat zu belegen. So als ob das die Meinung eines einzelnen wäre. So als ob sie einen Mathematiker zitieren würde der erklärt dass siebzehn plus sieben vierundzwanzig ist. So als ob sich die Forschung darüber noch uneinig wäre. Dass Verschränkung nicht für Informationsübertragung genutzt werden kann und es deswegen unmöglich ist dass über Verschränkung alles mit allem verbunden ist, ist so sicher wie wie siebzehn plus sieben vierundzwanzig ist.

Also, vertrauensvoll wie ich bin gehe ich immer noch davon aus dass sich Felicitas mit Martin Bäker ausgetauscht hat. Boshaft wie mein kleines Ego nun einmal ist lässt es mich eine email an Martin Bäker schreiben, ob er denn weiß dass er zu den Ehren gekommen ist, in einem Atemzug mit Anton Zeilinger genannt zu werden. Er ist ziemlich explodiert wie er das erfahren hat.

Felicitas hat sich bei Martin Bäker für das sinnverzerrende Zitieren entschuldigt, das hat mir die Chefredakteurin einer anderen Zeitschrift versichert. Und damit hat die Geschichte ihr happy end.

Und die Moral von der Geschichte? Martin Bäker hat seinen Taler zurückbekommen. Die Leser des Artikels sind die Betrogenen. Hüte dich vor findigen Mädchen.