Alkohol und Drogen sind was für Anfänger.
Wer wirklich was verträgt zieht sich die Wirklichkeit rein.

Was ist Tantra?

Manche haben es schon bemerkt: Die ganze Meditations-Seite ist in Wirklichkeit eine Tantra-Seite, auch wenn das Wort nicht oft vorkommt. Was bedeutet also dieses Wort mit dem schönen Klang? Von Leuten die nie etwas mit Tantra zu tun gehabt haben erhält man die prägnantesten Antworten.

Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.. (Zitat Goethe, Faust I)
Ich werde jetzt viele Wörter gebrauchen. Aber das worauf es ankommt ist irgendwie "hinter den Wörtern versteckt."

Saleem Matthias Riek erzählt folgende Geschichte: Ein Mann kommt von seinem ersten Tantra-Seminar zurück und sein Freund ist neugierig, er will alles wissen: "Was habt ihr gemacht beim Seminar, wart ihr nackt, habt ihr einander berührt,...?" und der gefragte denkt sich: "Ja schon, aber auf das kommt es nicht an. Alles was ich ihm jetzt erzählen kann erzeugt ein falsches Bild".

Tantra erschließt sich nicht durch Worte, auch nicht durch das Tun sondern durch das sein. (Saleem Matthias Riek: "Schule des Seins")

Wie man Tantra-Lehrer wird und wer sich Tantra-Lehrer nennen darf, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls keiner. Die meisten Tantra-Lehrer sind Therapeuten und wissen was sie zu tun haben wenn irgendwelche existenziellen Krisen hereinbrechen, ich bin kein Therapeut. Nur so als "disclaimer" am Anfang.

Die folgenden Zeilen geben meine Persönliche Erfahrung und Sichtweise wieder. Andere Menschen sehen es möglicherweise ganz anders. Ach ja, die folgenden Zeilen sind ursprünglich als Stichwort-Sammlung für einen Tantra-Abend entstanden und sind teilweise noch immer eine Stichwort-Sammlung. Vielleicht sind die folgenden Zeilen für dich völlig unverständlich, unakzeptabel oder belanglos. Dann lass sie bitte einfach einmal so vorüber plätschern. Vielleicht bringen sie etwas in dir zum schwingen - du wirst ja sehen.

Tantra ist eine fernöstliche religiöse Tradition. Es gibt buddhistisches und hinduistisches Tantra, es gibt viele verschiedene tantrische Traditionen. Wie viel das was im Westen darunter verstanden wird tatsächlich damit zu tun hat, sei einmal dahin gestellt. Ob der Begriff Tantra genau definiert ist und ob überall Tantra drin ist wo Tantra drauf steht bin ich ebenfalls nicht sicher.

Tantra ist bei uns vor allem deshalb bekannt geworden, weil Sexualität - anders als in anderen religiösen Traditionen - nicht ausgeschlossen ist. Das heißt keinesfalls dass es sich ausschließlich oder vorwiegend um Sexualität oder um Sex handeln würde.

Tantra ist ein Sanskrit-Wort und heißt: Gewebe, Kontinuum, Zusammenhang, weben, im Sinn von: "Alles verweben" --- ääähm, also eh alles.

Das hilft im Moment nicht viel weiter. Ein Begriff in unserer Sprache zeichnet sich vor allem dadurch aus dass er etwas bedeutet und etwas anderes eben nicht bedeutet.

Na gut, was ist Tantra nicht?

Beschreiben wir einmal wie der Mensch so funktioniert (grob vereinfacht und maßlos übertrieben, aber im Prinzip halt):

Wir spielen Rollen die wir von unseren Eltern, Lehrern etc. übernommen haben (und die haben sie wiederum von ihren Eltern, Lehrern etc. übernommen). z.B. in einer Besprechung: Protokoll, Tagesordnungspunkte, to-do-Liste, .... strukturiert, effizient, ich bin für die anderen vorhersehbar, das empfinden wir als angenehm.

Im zwischenmenschlichen Bereich sind wir (heute vielleicht weniger als früher) auf Rollen fixiert. "Wie geht es dir? Danke, gut, und dir? Danke auch gut."

Er will nur Sex, weil er gelernt hat dass er nur Sex wollen soll, sie will nur kuscheln, weil sie gelernt hat dass sie nur kuscheln zu wollen hat, er weiß dass er ohne kuscheln keinen Sex kriegt, sie weiß dass es auf Dauer ohne Sex kein kuscheln gibt, und so kriegen eh alle was sie wollen (sollen).

Sogar Spiritualität ordnen wir einem Regelwerk unter: Da ich, dort Gott, da Sünde, dort Vergebung, Gott funktioniert nach wenn-dann-Regeln. Gott tut was ich von ihm erwarte und wenn er es nicht tut dann will er mich prüfen und das erwarte ich ja von ihm.

Beim Anblick einer Kaffeetasse erschauere ich nicht in ehrfürchtigem Erstaunen ob der formvollendeten Rundheit und über die Weisheit dass sie oben offen und unten zu ist, sondern weiß was das ist und was damit zu tun ist. Ich habe ein Konzept, eine mentale Repräsentation.

Wenn wir einem Menschen gegenüber treten können wir nicht anders als uns an andere Menschen zu erinnern die ähnlich aussehen, ähnlich sprechen oder nur den gleichen Vornamen haben. Und schon stecken wir den Menschen in ein Schachterl, ordnen ihn einem bestimmten "Typ" zu.

Die Rollen, Konzepte und Regeln haben sich entwickelt und gehalten weil sie funktionieren. Ein "Kehret um, das Ende ist nah!" oder "Alles ist Illusion, Konzepte sind böse, nur ich weiß wie es wirklich ist" gibt es im Tantra nicht. Tantriker sind normale Menschen die normal funktionieren.

Tantra ist aber trotzdem irgendwie anders.

Wenn ich z.B. in einer tantrischen Übung einen fremden Menschen berühren soll:
Konzepte, Konzepte der Frau, Konzepte des Mannes
Ich werde mir bewusst dass ich nach Regeln und Konzepten funktioniere, eine Rolle spiele. Gerade da wo die Situation mit unseren Regeln kollidiert kann ich mir dessen bewusst werden.

Die Frau denkt sich vielleicht: Huch, wenn meine Mutter wüsste dass ich einen Mann berühren soll von dem ich nicht einmal den Familiennamen kenne! Und etwas spüren, z.B. Neugier oder gar Lust spüren? Das geht schon gar nicht.

Und der Mann: Da ist eine Frau die erobert werden muss (vorausgesetzt sie entspricht gewissen Norm-Maßen, ich muss ja auch auf meinen Marktwert achten). Also Brust raus, Bauch rein, gescheit dreinschauen!
Das ist (auf den ersten Blick) einfacher, aber auch da bin ich nicht im Spüren sondern in den Konzepten.

(Und dass Männer und Frauen so denken ist erst recht ein Konzept, ein Klischee.)

Was mache ich als Tantriker?

Nein, es ist nicht so dass ich die Konzepte und Zweifel nicht hätte. Nein, ich fahre über meine Konzepte nicht drüber. Nein, ich ersetze nicht meine alten Konzepte durch neue.

Ich versuche meine Konzepte zu erkennen. Sie anzuerkennen. Ich probiere es aus wie es jenseits meiner Konzepte und Grenzen aussieht.
(Wenn ich mich dafür entscheide. Oder eben nicht. Es gibt spirituelle Schulen die das Überschreiten der Grenzen fordern, andere lehnen es ab. Du musst dir deinen Weg selber finden.)

Das lässt sich auch im Alltag üben und umsetzen. Wenn mir z.B. im Straßenverkehr jemand den Vorrang nimmt, dann ist meine ein-geübte Reaktion dass ich mich ärgere. Wenn die Konzepte keine Macht mehr über mich haben dann dann habe ich die Freiheit mir zu denken: "Ach der arme, der hat wahrscheinlich gerade den mörder Stress weil er zu seinem Termin zu spät kommt."
Andererseits, wenn ich nicht die Freiheit hätte mich zu ärgern dann wäre ich erst recht nicht frei

In tantrischen Übungen werden Situationen herbeigeführt in denen unsere Konzepte nicht mehr so ganz passen. Das ist zwar bei jedem Lernvorgang so, aber hier gilt es nicht, neue Konzepte zu erarbeiten oder neue Verhaltensmuster einzutrainieren.

Da wo es in mir knirscht und kracht, da liegen die Nuggets. Da gibt es etwas zu entdecken. Da kann ich etwas über mich selbst erfahren. Wir sind gewohnt Gegensätze aus dem Weg zu räumen. Uns herum zu schummeln, nicht hinzuschauen, Kompromisse einzugehen,... Das kostet Energie und beraubt uns vieler Möglichkeiten.

Was auf dem Tantrischen Webstuhl verwoben wird, das sind Gegensätze. Da bekommt das Wort "alles" auf einmal Bedeutung!
"Alles" kann nicht zusammen passen, zumindest nicht in unseren Konzepten.
Da heißt es nicht: eines aussparen und das andere haben wollen.
Da heißt es vor allem nicht: Eh wurscht, ist eh alles eins.
Da heißt es: In all die gegensätzlichen Energien hinein gehen.
Ich schaue mir an: Was macht das mit mir? Welche Gedanken, Gefühle, tauchen auf? Ich freue mich, ich fürchte mich, ich ärgere mich....
Das gibt Lebendigkeit!

Saleem Matthias Riek: Paradoxien sind ein Tor in eine höhere Bewusstseinsebene (das klingt mir etwas zu hochtrabend (obwohl Saleem sonst sehr geerdet ist)) ... oder zu mir selbst, oder zu einer Wahrheit die hinter meinen Konzepten liegt, die ich nur erahnen kann,...
Ich denke es mir so: In einer Entscheidung gibt es nur 2 Wege. Solange ich mich noch nicht für einen davon entschieden habe kann ich diesen 3.Weg erahnen, meine Konzepte wahrnehmen.

Körper

Unseren Körper nehmen wir normalerweise nicht wahr wenn er funktioniert wie er soll. Wie im vorigen Beispiel mit der Kaffeetasse, es wäre ja zu viel Zeitaufwand mich mit etwas zu beschäftigen was ich eh kenne. Der Körper ist für uns das was das Auto für uns sein sollte: Ein Fahr-Zeug, ein Hilfsmittel, ein notwendiges Übel.

Beim Sport erwarten wir Leistung von unserem Körper und geben ihm immerhin so viel Aufmerksamkeit dass wir die Leistung auch bekommen. Beim Sex wäre es schön wenn wir unseren Körper in seiner Gesamtheit wahrnehmen könnten, aber die Gebrauchsanleitung haben wir längst verlegt und außerdem wären wir uns ja viel zu gut um darin nachzusehen.

Richte jetzt für einen Moment deine Aufmerksamkeit auf deinen Hintern, wie der das Gewicht deines Körpers trägt. Natürlich weißt du dass er es tut, natürlich weißt du dass du es spüren kannst. Aber es wirklich zu spüren ist eine ganz andere Qualität. Beobachte dich selbst wie du es spürst - und vielleicht sogar einen Moment lang überrascht bist.

Gleiches gilt z.B. für den Atem, den Dreh- und Angelpunkt fernöstlicher spiritueller Praktiken.

Ganz allgemein, beobachte dich selbst ohne zu werten. Mach aus deinem inneren Kritiker einen inneren Beobachter.

Und mit dieser Präsenz gehst du zu deiner täglichen Arbeit - zum Schuh-putzen - in einen Streit - in eine sexuelle Begegnung -

das ist Tantra!